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HINTERGRUND

Revision des Verkaufs: Herausforderungen und Hoffnungen

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adrian kieser
30.6.2024

Für viele von uns gehört das Einkaufen zum täglichen Leben und ist das Selbstverständlichste überhaupt. Für andere ist es ein Alltagsgeschäft.

Ehrlich gesagt, als Angestellter ist der Verkauf ein undankbares Pflaster. Austauschbar, unterbezahlt und unterbesetzt machen wir uns jeden Tag auf den Weg ins Geschäft. Wir bereiten die Lager, das Buffet, die Körbe und Regale für die Kundschaft vor. Prüfen die Produkte auf die gewünschte Qualität und stellen neue Produkte her. Putzen noch schnell alles, bevor die Öffnungszeiten beginnen. Wir machen sogar noch kurz eine Kaffeepause, obwohl die Zeit dafür eigentlich nicht vorhanden ist. Nur damit wir länger auf der Verkaufsfläche sind und niemand auf etwas warten muss. All das, bevor der Laden überhaupt aufmacht.

Als Sohn eines Mannes, der in die Schweiz migrierte, und einer alleinerziehenden Frau, die seit ihrer Geburt hier lebt, habe ich verschiedene Facetten in unserem kleinen und schönen Land gesehen und erlebt.

Mein Vater war Lastwagenchauffeur, meine Mutter ist Grafikerin. 

Schon in der Grundschule habe ich meine alten Spielzeuge verkauft, die ich nicht mehr brauchte. Nicht auf dem Flohmarkt, sondern direkt bei den Menschen auf der Strasse, an der Bushaltestelle und vor den Geschäften. In Wipkingen.

Im Verkauf zu arbeiten, habe ich mir jedoch nie erträumt.

Ich wollte immer etwas Künstlerisches machen, Comiczeichner, Musiker oder die Menschen zum Lachen bringen.

Die Welt aus der ich komme ist nicht für Träumerisches gemacht. 
Es hiess: "Du wirst nicht reich vom Zeichnen. Du kannst nicht gut genug singen, du singst ja nicht mal vor uns. Ich habe dich noch nie singen gehört. Mach doch etwas, das Hand und Fuss hat."

Wir lernten schnell, dass wir uns jetzt bald zusammenreissen müssen, sonst werden wir in ein paar Jahren nach Abschluss der Oberstufe auf der Strasse landen und unter der Brücke hausen müssen, falls wir keine Lehrstelle haben.

Auf Umwegen und durch Zufall habe ich eine Lehrstelle als Detailhandelsfachmann in der Fleischwirtschaft gefunden. Irgendwann vor meinem Abschluss wusste ich, das ist nichts für mich. Unter Tränen habe ich an diesem Tag die Kühlertür aufgeschlossen und war drei Minuten länger im Kühler als üblich.

Mir wurde gesagt ich bin Dumm, müsse noch viel Lernen. Weil ich ja in einem Laden arbeite. Das Gefühl, dass ich die letzte aller Klassen bin, wurde mir oft gegeben. Der Kunde ist König. 

 
Selbstvertrauen hat nichts mit der Aussenwelt zu tun, es ist auf sein Selbst vertrauen.

Ich hatte schon viele Jobs, habe viel versucht, bin viel gescheitert, hatte einige private Rückschläge, musste innere Konflikte bewältigen und konnte, doch, so viel über das Leben lernen.

Wir arbeiten den ganzen Tag auf den Beinen mit ständig kaltem Rücken und weichen Knien. Manche sagen, es sei Klagen auf hohem Niveau.

Ich schildere nur einen Teil der Realität.

Mein Weg ist ein anderer. Ich kündige!
Ohne Ziel, ohne andere Arbeit, nur die eine Ausbildung.

Als Detailhandelsfachmann. 

Also ab in die Gastronomie, auf die Baustelle oder auch in andere Läden, Hauptsache nicht mehr Metzger. Ich bin jung, dynamisch und habe Träume. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ich brauche Geld, muss Miete zahlen, was soll ich tun? Ich würde gerne studieren, habe keine Ahnung wo ich beginnen soll. Kann ich jemanden fragen, der mich finanziell unterstützen kann? Schwierig. 

Wie wäre es mit einer zweiten Lehre?
Da war doch mal was mit handwerklich versiert? Ich glaube, das wird nichts, nicht als Verkäufer.

Naja, als Metzger verdiene ich immerhin Geld. Geklappt hat es ja auch schon einmal, für eine Weile. Ehrlich gesagt ist der Kundenkontakt ohnehin das Schönste am Beruf. Fleisch esse ich schon länger keines mehr, da spart man wie bei den Zigaretten. Ich könnte es dieses Mal ja auch anders machen und mich währenddessen selbst weiterbilden, indem ich Buch um Buch in der Pause lese. 

Das gefiel dem Chef einfach nicht.

Naja, mal schauen, was es sonst noch für Jobs gibt. Ich habe ja auch schon Erfahrungen als Maler gemacht. Ab auf die Baustelle. 

Das funktioniert leider auch nicht so ganz. Ohne fundiertes Wissen bleibt der Spass am selbstständigen Arbeiten aus.

Gut, noch einmal die Metzgerei, als letzte Bastion. Jetzt sogar als Chef, mit einem Inhaber der Autos verkauft. Was kann da schon schiefgehen? 

Kein Arbeitszeugnis und keine Aussicht.

Vater hat sich das Leben genommen-
Onkel auch. 

Wohin mit dem Frust? Wohin mit der Angst, dem Schmerz, der Trauer?

Sitzen. Nichtstun. Irgendetwas. Nur. Nicht. In. Der. Metzgerei. 

Wie wäre es mit einer Weiterbildung? Wie wäre es mit dem Handelsdiplom? Von da bis ins HR!

Für manche gibt es keine solche Fügung. Keine Zukunftsfantasie, keinen Drive. Nur Einöde und Alltag. Viele flüchten bewusst dahin. Viele werden dahin bewegt. 

Bewegt durch den Verkaufsalltag, mit all seinen kleinen Tücken, die einem so viel Lebensenergie rauben. Die Klagen und Wünsche der Vorgesetzten, die Klagen der Mitarbeiter, die Klagen der Kunden, die Wünsche der Kunden, die Klagen des eigenen Kopfes, die Klagen des eigenen Körpers. Die stetige Bestätigung, ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Keine stimulierenden Konversationen. Der langsame Zerfall von Hirn und Geist. Die Aussicht auf nichts ausser dem wohligen Bett, die mit warmem Wasser gefüllte Badewanne oder die bequeme Couch mit der flauschigen Decke.

Lachender Autor

Und doch haben wir eine unglaublich gute Menschenkenntnis, ein Gespür für die Wünsche in den Gesichtern der Menschen. Und natürliche, wirkliche Freude, jemandem etwas Gutes getan zu haben. Wir bedienen unsere Freunde, Familien und Bekannten, und wer noch nicht bedient wurde, wird zu einem Freund. Früher oder später.

Der Verkauf braucht eine Revision.

Der tertiäre Sektor braucht eine Revision.

Wir brauchen bessere Löhne und Arbeitszeiten, die eine Perspektive in eine Zukunft ermöglichen.

Wir brauchen Arbeitsbedingungen, die unsere Gesundheit nicht beeinträchtigen. 

Wir brauchen Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung


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adrian kieser
Autor
Adrian Kieser, geboren in Lenzburg und aufgewachsen in Wipkingen, ist ehemaliger Metzger und vielseitig interessiert. Er hat verschiedene philosophische Reisen unternommen und zeichnet gerne seine Gedanken.