Kunst in der Mitte
Kulturelles Kapital - schön und gut. Solange ich damit aber kein Essen, keine Krankenversicherung und keine Miete bezahlen kann, hätte ich dann bitte doch gerne die monetäre Vergütung für meine erbrachte Arbeitsleistung. Geht das?
Anscheinend nicht, denn Kunstschaffen wird häufig als pure Selbstverwirklichung gesehen und gilt deshalb nicht als Arbeit. Beziehungsweise manchmal schon, aber je nach Position in der „geschafft“ wird. Wenn man eine kuratorische Anstellung besetzt und auf diesem Weg Kunst schafft, bekommt man einen Lohn. Wobei auch da nicht ganz klar ist, ob dieses Geld dann wirklich für das Kunstschaffen im engeren (kreativen) Sinne ausbezahlt wird, oder doch vielmehr für die administrativ-organisatorischen Teile der kuratorischen Arbeit. Auch Museums-Techniker:innen und Arthandler (häufig selbst Künstler:innen, die fremde Ausstellungen gegen Geld aufbauen) verdienen mit dieser selbst entfremdeten Dienstleistung oft besser als die ausstellenden Künstler:innen. Dies zieht sich zum Teil bis in höchste Kreise.
Auf jeden Fall ist bei Künstler:innen klar: die kriegen keinen festen Lohn für ihre Arbeitsstunden. Und selbstständig erwerbend müssen sie sein, damit das volle Risiko auf deren Schultern anstatt auf der Allgemeinheit lastet. Es ist also ihre Aufgabe nicht nur künstlerische Arbeit (Konzeption, Planung, Umsetzung, Archivierung, Repräsentierung, Wettbewerbsteilnahmen usw.) zu leisten, sondern obendrauf noch unternehmerische Arbeit (Networking, Fundraising, Marketing, Buchhaltung, Preisstrategien, Verkaufsabwicklungen usw.). Zu viele Jobs in Einem. Verkauf doch deine Bilder! Und was, wenn ich gar keine Bilder in meinem Sortiment habe? Aber das viel grössere Problem: So wird ebenfalls, wie bei oben erwähnten Dienstleistenden, wieder nicht der Kern des Kunstschaffens bezahlt, sondern vielmehr der Betrieb des darauf aufgebauten Unternehmens - oft auf Kosten der Inhalte.
Im westlichen Denken müssen Künstler:innen also immer auch zugleich Unternehmer:innen sein, um überleben zu können. Das System wiederum lebt von einer grossen Masse Kunstschaffender, welche für die Kunstwelt augenscheinlich unbedeutend ist, jedoch den Pool der wenigen Superstars speist. Ausstellungen, Produktionen, Erfolg und somit der Kunstmarkt werden dabei massgeblich von Geschäftsleuten gesteuert (einflussreiche Sammler:innen, Galerist:innen, Kunstsuperstars). Galerien z.B. können Künstler:innen erfolgreich vermarkten und suchen gezielt Käufer:innen um grosse Projekte für prestigeträchtige Museums-Ausstellungen vorzufinanzieren um so wiederum den Marktwert der „eigenen“ Künstler:innen zu steigern. Wie in jedem kapitalistischen Markt geht es hier letztendlich um die Anhäufung von monetärem Kapital. Inhalte und Auswirkungen sind zweitrangig. Und die Kunstwelt entwickelt sich zunehmend in eine Richtung, in der Künstler:innen direkt ganz oben im Markt einsteigen müssen, um mithalten zu können. Denn die künstlerische Mittelschicht fehlt. Entweder gehörst du zur
Geldelite oder bist Bettler:in. Halt! Wieso hat mir das niemand schon im Kunststudium so deutlich gesagt?! Ich will doch gar kein Business betreiben, sondern ernsthafte Kunst! Gibt es Alternativen zu diesem kreativen Unternehmertum?
- Alternative 1: Querfinanzierung. Heirate eine Person mit genügend Geld für mindestens zwei. Erbe Immobilien, die du selbst bewohnen oder vermieten kannst. Werde von eine:r Mezän:in langfristig finanziell getragen. Arbeite zu mindestens 50 % fachfremd und absolviere dafür eine zweite Ausbildung oder baue dir in einem lukrativeren Sektor nebenher eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf.
- Alternative 2: Ökonomisch-sozialer (Selbst-)Mord. Akzeptiere, dass das staatliche Netz dich nicht hält und als Schmarotzer:in und Betrüger:in verbucht. Bezahle Steuern auf fiktives Einkommen, welches von Ämtern automatisch festgesetzt wird. Verliere ungerechtfertigterweise den Anspruch auf Sozialleistungen. Gib dich deshalb mit einem unterdurchschnittlichen Lebensstandard zufrieden. Ertrage die umfassende Unsichtbarkeit deiner prekären Situation und das damit einhergehende
gesellschaftliche Unverständnis.
Aber was, wenn das Unternehmertum nicht funktioniert, Alternative 1 nicht eintrifft und ich langsam die Nase voll von Alternative 2 habe? Hilft es dann vielleicht Politik, Vermittlung, Lobbyarbeit zu betreiben? Denn Kunst ist systemrelevant! Kunst ist Mitgestaltung. Das muss jetzt öffentlich-wirksam vermittelt werden! Wenn aber nur das System Kunstmarkt und diejenigen mit solider Querfinanzierung mitreden, fehlt uns ein grosser Teil der Stimmen. Innovation? Vielleicht - aber nur wenn sie das schon bestehende System fördert. Marschmusik, statt Polyfonie. Wollen wir das ändern muss Kunstschaffen ab jetzt mit dem Erwerb eines durchschnittlichen Lohns einhergehen. Stell dir vor: Fähige Künstler:innen arbeiten Vollzeit auf ihrem erlernten Beruf und können damit ein mittelständisches Leben führen. Ein Traum.